Nachruf Marienfelder Martinssonntag 2019
Der Martinssonntag war für mich immer einer der schönsten Tage im Jahr. Wochen vorher wurde man schon durch die Plakate am Straßenrand eingestimmt. Der Herbst war da und die Zeit bis Weihnachten überschaubar.
Als ich an jenem Morgen die Augen aufschlage, ist es wieder soweit Martinssonntag.
Schnell springe ich aus dem Bett und schaue mit besorgtem Blick aus dem Fenster, um mich der Wetterlage zu vergewissern. Bewölkt, aber kein Regen. Juchu!
Das Frühstück mit meiner Familie ist lang und reichhaltig. Gut gestärkt und mit einer leeren Tasche gehen wir los. Wohin? Natürlich zum Martinsflohmarkt. Meine Tochter hat sich schon überlegt wonach sie Ausschau halten möchte, mein Sohn beginnt eifrig sein Taschengeld zu zählen und mein Mann hofft, dass dieses Mal eine Tasche ausreichen wird.
Es ist bereits Mittag als wir ankommen, die Sonne hat sich durch die Wolken gedrängt und schenkt Wärme. Ich kann die ersten Stände erkennen. An manchen Tischen stehen die Leute dicht an dicht. Es wird begutachtet, gelacht, verhandelt und viel erzählt. Mitten im Gedränge erkenne ich unsere Nachbarin. Sie ist bereits fündig geworden und trägt so manches auf ihrem Arm. Hinter einem großen Karton lächelt sie mich an und erzählt von den Dingen die sie für kleines Geld erworben hat. Außerdem informiert sie mich darüber, dass der Schulstand gut läuft und wo eine andere Bekannte mit ihrem Tisch steht. Dann verabschieden wir uns und gehen weiter. Es gibt so viel zu sehen. Anscheinend hatte mein Sohn keine Probleme sein Taschengeld an den Mann zu bringen. Nach der ersten Kurve besitzt er nämlich schon keines mehr, dafür hält er jetzt zwei Bilder und ein Lego Teil in den Händen und versichert mir, dass das der beste Preis war für den er die Sachen bekommen hat. Ich lächle ihn an und wir gehen weiter. Nach einiger Zeit ist sicher, dass der Wunsch meines Mannes nicht in Erfüllung geht, denn er trägt bereits zwei Taschen. Langsam stellt sich Hunger ein und wir bleiben beim Bratwurststand stehen. Auf einmal tippt mich jemand an die Schulter und freut sich anscheinend mich zu sehen. Es ist eine Freundin mit ihrer Familie. Ihre Tochter schiebt stolz einen kleinen Puppenwagen und scheint überglücklich. Die Pommes, die ihre Mama ihr hinhält, bemerkt sie gar nicht, so sehr sind ihre Augen bei dem neuen Kinderwagen.
Nachdem sich alle gestärkt haben verabschieden wir uns und gehen weiter. Doch weit kommen wir nicht. Bei den frischen Waffeln halten wir erneut an und überzeugen uns von ihrem fabelhaften Geschmack. Dazu ein Kaffee, die warme Sonne im Gesicht und den Blick schweifend über das muntere Treiben. Was für ein herrlicher Tag!
Die Zeit ist wie im Flug vergangen, denn als ich einen Blick auf die Uhr werfe muss ich feststellen, dass wir uns auf den Heimweg machen müssen. Voll bepackt – sogar mit einem kleinen Laufrad – verlassen wir den Flohmarkt.
Zuhause angekommen machen wir uns frisch, ziehen uns noch ein bisschen dicker an und dann ist es endlich Zeit die selbstgebastelten Laternen rauszuholen. Wunderschön sind sie dieses Jahr wieder geworden. Mein Mann sucht noch die passenden Batterien für die Laternenlichter und schon sind wir wieder auf der Straße, auf dem Weg zu Sankt Martin. Unsere Nachbarn wollen auch gerade los, also gehen wir gemeinsam.
Die Kinder freuen sich und es fängt allmählich an dunkel zu werden. Unterwegs treffen wir immer mehr Menschen. Ich sehe viele Kinder mit ihren Laternen, die mindestens ebenso stolz sind wie meine. Als wir ankommen, erstrahlt ein großes Lichtermeer. Eine Laterne neben der anderen und eine schöner als die andere. Gebannt warten alle auf Sankt Martin. Dann kommt er auf seinem großen, prächtigen Pferd, reitet vor ab und wir hinterher. Fröhlich singen alle das Lied „Laterne Laterne“.
Ich merke meiner Tochter langsam die Müdigkeit an und doch tragen ihre kleinen Beinchen sie tapfer weiter, denn am Ende – so hat sie gehört – bekommt jeder eine kleines Martinsherz oder eine Brezel. Doch plötzlich bildet sich ein Stau und sie wird immer aufgeregter. Mein Mann hebt sie hoch und auf seinen Schultern kann sie sehen, dass am Ende Weckmänner verschenkt werden und anscheinend bekommt jedes Kind sogar einen. Ob noch einer da ist, wenn wir an der Reihe sind? Natürlich ist noch einer da und sogar für die Kinder hinter uns. Es ist also wahr, jedes Kind bekommt einen! Meine Tochter strahlt über beide Ohren.
Als wir den Platz erreichen, tanzen schon ein paar Kinder um den Tannenbaum. Manche von ihnen spielen fangen, andere essen oder schauen immer noch ihr Weckenmännlein an. Wir gehen zu unseren Freunden, erlauben uns ein Bier und warten auf die Tombola. Unsere Lose haben wir schon parat. Auch dieses Jahr hat die Werbegemeinschaft wieder tolle Preise gespendet. Jedes Jahr träume ich von einer Martinsgans, ob es dieses Jahr wohl klappen wird?
Doch mitten in der Ziehung müssen wir heim. Unsere Kinder sind vollkommen erschöpft vom Tag und ich selbst merke auch allmählich, dass es Zeit wird heimzukehren. Meine Tochter ist bereits auf den Schultern meines Mannes eingeschlafen, meine Söhne vertreiben sich die Zeit im Bollerwagen mit ihren Weckmännern und wir unterhalten uns. Worüber? Über all das was wir heute erlebt haben. So viele neue Eindrücke.
Kurz vor unserer Haustür treffen wir einen anderen Nachbarn, ein Mitglied der Werbegemeinschaft. Müde sieht er aus. Doch er kommt freundlich auf uns zu und möchte wissen wie der Martinssonntag war. Wir erzählen ihm ausführlich von den zahlreichen Verkaufsständen, den Kunsthandwerkern, den Geschäften, dem Blasorchester und der Tombola.
Dann wendet er sich unseren Kindern zu, die immer noch mit ihrem Wecken kämpfen. Er lacht und freut sich, dass alle einen bekommen haben.
Schließlich entschuldigt er sich, er hat den ganzen Tag gearbeitet und möchte jetzt heim zu seiner Familie. Er wünscht uns einen schönen Abend und geht.
Ein schlechtes Gewissen macht sich in mir breit, doch ich verdränge es.
Und als auch ich endlich im Bett liege, lasse ich den Tag noch einmal an mir vorüberziehen und in Gedanken freue ich mich schon auf das nächste Jahr.
Dieses Jahr wird es allerdings keinen Martinssonntag mehr geben. Ein VERDi Urteil hat einigen Kaufleuten der Werbegemeinschaft untersagt am Martinssonntag ihre Geschäfte zu öffnen.
Doch es ist ja gerade den Mitgliedern der Werbegemeinschaft geschuldet, dass wir so viele Jahre einen wunderschönen Martinstag erleben durften. Sie waren die Schirmherren, die sich gekümmert haben, Preise gespendet, ja sogar die kleinen Weckenmänner für die Kinder.
Deshalb an dieser Stelle….
Liebe Werbegemeinschaft vielen Dank, dass Ihr das all die Jahre auf Euch genommen habt. Dank euch bleiben uns so viele schöne Momente vom Martinssonntag in Erinnerung.
Manchmal wache ich noch auf und hoffe, dass ich nur schlecht geträumt habe. Es fällt mir so schwer dabei zuzusehen, wie wir Stück für Stück von dem aufgeben, was zu uns gehört. Was uns ausmacht, worauf wir stolz sind und was uns etwas bedeutet.
Dann überlege ich mir wie man das ändern kann. Was ich tun kann…
Doch alleine wird es wohl niemand weit bringen.
Aber vielleicht wenn wir als Marienfelder mit unseren Vereinen alle zusammenstehen, können wir eines Tages wieder einen Martinssonntag in seinem ganzen Ausmaß feiern und unsere Kinder mit dieser Tradition großwerden lassen.
Damit der Martinssonntag nicht auch zu einem Tag wird, den unsere Kinder nur noch aus unseren Erzählungen kennen, wie schön er war und wie wir ihn einst feierten. Das würde ich mir sehr wünschen!